Jacquiline Harvey hat im Volkswagen Konzern eine beachtliche internationale Karriere hingelegt. Seit 2022 berichtet sie als Verantwortliche für den Vertrieb von Audi in China und Hongkong direkt an die Vertriebsvorständin Hildegard Wortmann. Ihre Position nutzt sie unter anderem, um Frauen und junge Talente zu fördern – als „Role Model“ und mit einem Diversity&Inclusion-Programm, das auf harten Fakten und Analysen aufbaut. Wie das in einem Konzern gelingen kann, der sich in einem heiß umkämpften Markt behaupten muss, erzählt sie in diesem Interview.
Frau Harvey, die Automobilindustrie transformiert sich gerade radikal. Wie positioniert sich Audi in diesem Umbruch?
Unser klares Statement ist: Die Zukunft ist elektrisch. Bis zum Jahr 2025 werden wir global mehr als 20 neue Modelle launchen. Dabei fokussieren wir uns im Schwerpunkt auf den US-amerikanischen sowie den chinesischen Markt und auf Europa. Aber wir sehen uns inzwischen auch im Premium-Segment mit so genannten New Playern konfrontiert, also neuen Wettbewerbern, die viel Schnelligkeit und Innovationsfreude demonstrieren. China ist Treiber der technologischen Zukunft.
Können Sie uns die Marktsituation in China und Hongkong kurz beschreiben?
China und Hongkong können Sie mit Europa überhaupt nicht mehr vergleichen. Dort hat sich die Transformation viel schneller vollzogen als erwartet. Das zeigt schon ein Blick auf die Zahlen. 85 Prozent der Neuwagen, die dort verkauft werden, sind elektrisch. Viele chinesische Wettbewerber expandieren gerade nach Europa. Unsere Kunden sind rund zwanzig Jahre jünger als in Europa oder den USA. 45 Prozent sind Erstkäufer. Das sind Menschen, die kein physisches „Store-Erlebnis“ mehr brauchen, weil sie nur noch digital einkaufen.
Vor welche Herausforderungen stellt das den Vertrieb?
Unser Team für den Markt China und Hongkong ist sehr groß. Ich persönlich sehe uns als Stimme unserer Kunden und als Sprachrohr in den Markt. Egal, wo auf der Welt: Wir müssen die Marke sichtbar machen und für die jeweilige Region übersetzen. Audi betreibt in China seit 2013 ein eigenes Forschungs- und Entwicklungszentrum. Wir entwickeln marktspezifische Produkte, Technologien und Services. Als Vertriebsteam antizipieren wir, was unsere Kunden von Audi erwarten. Vor allem aber sorgen wir für das richtige Gesamterlebnis. In China und Hongkong bedeutet das: Wir ermöglichen eine „Seamless Journey“, ein nahtloses Kundenerlebnis, und verknüpfen unsere Fahrzeuge nicht nur mit Smartphones, sondern auch mit gesamten Ökosystemen.
Die Automobilindustrie ist nach wie vor männlich dominiert. In Ihrem Bereich sieht das ganz anders aus.
Das ist richtig. Auch hier sprechen die Zahlen eine deutliche Sprache. 83 Prozent der Audi-Beschäftigten sind Männer – die meisten arbeiten in der Produktion – und 17 Prozent Frauen. Im Vertrieb und Marketing dagegen sind 40 Prozent der Beschäftigten weiblich. Damit erreichen wir nach dem Personalbereich den zweithöchsten Wert. Wir haben auch eine Vorständin: Hildegard Wortmann. Sie setzt sich sehr für die Sichtbarkeit junger Talente im gesamten Vertriebs- und Marketingbereich ein. Und so haben sich bereits viele tolle weibliche Talente auf unterschiedlichen Managementpositionen im In- und Ausland etablieren können.
Warum fällt der Vertrieb in Sachen Diversität positiv auf?
Es hat zum einen mit der Vielfalt zu tun, die die Vertriebswelt hinsichtlich ihrer Themen mit sich bringt. Wir haben hier nicht nur die Funktionen Vertrieb und Marketing, wir behandeln auch Themen wie Logistik, Sales-Planung und Produktmanagement. Zum anderen braucht man für diese Aufgaben ein vielfältiges und breit aufgestelltes Team. Das bedeutet Mitarbeitende, die gut kommunizieren können, international interessiert und empathisch sind und sich inhaltlich auf unsere Kunden und deren Wünsche fokussieren.
Sie arbeiten seit 25 Jahren für den Volkswagen-Konzern. Wie haben Sie es geschafft, dort Karriere zu machen?
Ich setze auf Sachlichkeit, Ruhe, Kompetenz und eine überzeugende Performance. Es ist wichtig, Wirksamkeit zu entfalten, die in KPIs abbildbar ist. Mir persönlich hat es geholfen, dass ich Konflikte anders lösen und angehen kann, Werte für eine respektvolle und vertrauensvolle Zusammenarbeit eine Stimme gebe und damit einen anderen Impuls in meinem Team vermittle.
Und auf welche Hindernisse sind Sie gestoßen?
Natürlich trifft man als Frau immer wieder auf einen sogenannten Unconscious Bias, gilt manchmal schnell als pushy und zickig, wenn man Dinge erfolgreich und selbstbewusst managt. Wir beurteilen die Welt noch immer zu stark aus der Sicht unserer eigenen Werte und Schemata. Das ist ein echtes Hindernis – nicht nur für Frauen, sondern für viele junge, sehr talentierte Mitarbeitende mit internationalem Hintergrund. Ich unterstütze sie – nicht nur als „Role Model“, sondern auch mit gezieltem Mentoring. Wir haben im Marketing und Vertrieb mit einem kleinen, sehr engagierten Team ein eigenes Diversity&Inclusion-Programm – Listen Learn Exchange Inclusion, kurz #LLXi – aufgebaut.
Bevor wir auf Ihr Mentoring- und Coachingprogramm #LLXi näher eingehen: Worauf kommt es an, wenn man Diversität vorantreiben will?
Die Power und das Engagement für die Umsetzung des Kulturwandels muss aus den einzelnen Bereichen kommen. Man braucht ein Diversity-Netzwerk, welches über die einzahlenden D&I Facetten, zum Beispiel Gender, Herkunft etc., hinaus mehrdimensional denkt, das sich nicht in einer Bubble bewegt, sondern auch die männlichen Senior-Führungskräfte überzeugt. Wir brauchen Zahlen, Daten und Fakten, um mit Mythen aufzuräumen und auch um Verbündete zu gewinnen. Es reicht nicht, die sogenannten weichen Faktoren in den Blick zu nehmen. Es geht um harte Fakten. Man muss das Top-Management mit dieser Realität konfrontieren und Diversity und Inclusion zu einem messbaren Betriebsziel machen.
Wie unterstützen Sie junge Talente konkret im Rahmen von #LLXi?
Wir bilden für zwei Jahre Partnerteams mit Personen aus dem höheren Management. So entstehen sehr persönliche Verbindungen, die eine 360-Grad-Entwicklung fördern. Wir veranstalten darüber hinaus auch Panel-Talks mit unterschiedlichsten Experten zu Themen, die jungen Führungskräften unter den Nägeln brennen. In einer regelmäßigen „D&I-Hour“ nehmen wir uns die Zeit, im Team zu reflektieren, was wir uns mit Blick auf Diversity vornehmen wollen. Das kann das Genderthema sein, aber auch Alters- und/oder Neurodiversität oder der Umgang mit Menschen mit Einschränkungen, mit einer anderen Herkunft, aus einer anderen Kultur. Denn Diversität hat viele Facetten.
Wie haben Sie das Programm implementiert?
Wir haben zuerst die Zusage und Verpflichtung vom Gesamtvorstand eingeholt, dann messbare Business-KPIs, Ziele und Maßnahmen identifiziert und sind natürlich auch in die Kooperation gegangen, vor allem mit dem Personalmanagement, das wir frühzeitig einbezogen haben.
Das #LLXi Mentoringprogramm ist mittlerweile in die dritte Runde gegangen. Wie ist Ihre Bilanz?
Unsere Initiative ist zu einer Blaupause für andere Bereiche im Unternehmen und auch Marken im Konzern geworden. Es wurde schon außerhalb unseres Bereichs übernommen. Vor allem unsere D&I-Hour ist mit einer Weiterempfehlungsrate von 87 Prozent eine echte Erfolgsgeschichte. Was mich persönlich gefreut hat, ich wurde eingeladen, Mitglied des Inclusion Councils der AUDI AG zu werden. Das zeigt, dass wir im gesamten Konzern Gehör finden und überzeugen. Das sind große Erfolge. Ich arbeite dennoch weiter an meinem persönlichen Ziel: Ich möchte dazu beitragen, dass Audi als Premiumhersteller zu einer Top-Marke mit einer diversen und inklusiven Kultur wird, die alle erreicht.