Ihr Wort hat politisches Gewicht bei Audi: Die Betriebsrätinnen Rita Beck und Karola Frank sind als gelernte Werkzeugmacherin und gelernte Fahrzeuglackiererin in der Produktion gestartet. Heute gestalten sie im Aufsichtsrat und in vielen anderen Funktionen die Zukunft des Unternehmens mit. In einer Zeit des extremen Umbruchs setzen sie auf Innovation, Bildung und Sicherheit – und auf die fast 60.000 Beschäftigten der AUDI AG. Wir haben uns mit diesen beiden Ausnahmefrauen zum Gespräch getroffen.
Frau Beck, Frau Frank, Digitalisierung, Elektromobilität, neue Anforderungen an die Beschäftigten: Wie ist die Situation in der Automobilindustrie?
Rita Beck: Wir stehen mitten in einer riesigen Transformation, die die Automobilwelt so noch nicht erlebt hat. In der Produktion haben wir so etwas mit der Automatisierung schon einmal in Ansätzen gesehen. Es gab große Ängste, dass Arbeitsplätze wegfallen. Am Ende entstand daraus aber ein Benefit für die Beschäftigten, weil das Unternehmen mit der Automatisierung auch die 35-Stunden-Woche eingeläutet hat. Auch die Umstellung des Automobilbaus vom Verbrenner in die Elektromobilität kann eine Win-win-Situation sein, wenn man es richtig angeht.
Sicher eine große Herausforderung.
Richtig. Wir müssen gerüstet sein, um auf allen Ebenen agieren zu können. Die Firma muss sich so aufstellen, dass die Arbeitsplätze nicht darunter leiden und dass unsere Belegschaftsmitglieder aktiv beteiligt werden. Es geht darum, im Dialog zu bleiben und Zukunftsängste zu nehmen.
„Wir stehen mitten in einer riesigen Transformation, die die Automobilwelt so noch nicht erlebt hat.“
Wie ist die Situation bei den Angestellten?
Karola Frank: Elektromobilität ist der Booster und verändert, wie wir Fahrzeuge entwickeln. Auch autonomes Fahren, KI und generative Programme wie ChatGPT verändern die Abläufe in den Büros. Es reicht nicht mehr, sich bei der Einführung neuer Systeme auf den Datenschutz zu konzentrieren. Wir müssen auch im Angestelltenbereich viel früher und viel tiefer in die Systemlandschaften hineingehen. Inzwischen müssen wir nicht nur das Unternehmen, sondern auch die Beschäftigten davon überzeugen, das wir manche Dinge nicht einführen, die sie privat vielleicht gerne nutzen. Wir üben als Betriebsrat eben auch eine Schutzfunktion für die Beschäftigten aus.
„Betriebsvereinbarungen haben heute keine 20, 30, 40 Jahre mehr Bestand.“
Die Veränderungen kommen schnell und sie sind sehr komplex. Was bedeutet das für Sie?
Karola Frank: Die Themen kommen tatsächlich so schnell, dass wir uns mit vielen Dingen nicht mehr in der Tiefe auseinandersetzen können. Sie sind zudem so komplex, dass wir kaum noch die mittel- und langfristigen Auswirkungen beurteilen können. Wir müssen also schneller Entscheidungen treffen und kurzzyklischer nachjustieren. Betriebsvereinbarungen haben heute keine 20, 30, 40 Jahre mehr Bestand. Wir setzen also Leitplanken, die oftmals breit gefasst sind, und präzisieren dann gegebenenfalls nach.
Rita Beck: Auch wenn Arbeitsplätze durch Digitalisierung und KI in großem Umfang wegfallen, müssen wir für die Menschen, die wir jetzt an Bord haben, Beschäftigung sichern. In der Lackiererei, Produktion und in der Qualitätssicherung, wo früher vieles händisch zum Beispiel an Messständen gemacht wurde, haben wir Beschäftigte erfolgreich im Rahmen eines Upskillings für neue Tätigkeiten in anderen Bereichen wie der Beschaffung qualifiziert. Mit der Elektrifizierung müssen wir uns jetzt auch in der Montage auf andere Produktionsprozesse mit weniger Montageschritten einstellen. Deswegen suchen wir für diejenigen neue Einsatzmöglichkeiten, die dort 30 Jahre an der Linie gestanden haben.
„Wir behalten immer die Standorte als Ganzes mit allen Beschäftigten im Blick.“
Karola Frank: Dabei behalten wir immer die Standorte als Ganzes mit allen Beschäftigten im Blick. Wenn wir in Zukunft weniger Autos bauen, hat das auch Auswirkungen auf die Angestellten. Wir müssen also Alternativen entwickeln, die über den klassischen Fahrzeugbau hinausgehen, vielleicht auch Tätigkeiten wieder insourcen, die wir an Dienstleister abgegeben haben, für die wir aber durchaus die Kompetenzen hätten.
Rita Beck: Die Beschäftigtenzahl können wir nur mit neuen Ideen und neuen Geschäftsfeldern hochhalten. Batterierecycling, das Zerlegen von Rohstoffen, die Aufbereitung von Fahrzeugen aus dem Leasinggeschäft, die man wieder in den Markt bringen kann: Hier sehen wir als Betriebsrat innovative Zukunftsfelder. Bislang ist das Unternehmen hier aber sehr zögerlich.
„Die Beschäftigtenzahl können wir nur mit neuen Ideen und neuen Geschäftsfeldern hochhalten.“
Es ist bereits angeklungen: Ein ganz entscheidendes Thema in der Transformation ist Qualifizierung. Was hat sich an der Stelle getan?
Karola Frank: Im Zuge der Transformation verändert sich Bildung grundlegend. Deswegen haben wir eine neue Betriebsvereinbarung zum Thema Qualifizierung auf den Weg gebracht. Sie orientiert sich an Themenwelten und bietet mehr Möglichkeiten, sich neue Dinge anzueignen, auch wenn sie mit der aktuellen Tätigkeit nichts zu tun haben.
Rita Beck: Rund 250 Mio. Euro sind inzwischen in die Qualifizierung von 10.000 Beschäftigten geflossen Die Kolleginnen und Kollegen merken also: Es geht nicht nur um Budgets für neue Technologien. Sie werden wertgeschätzt und gefördert, bekommen das Gefühl, dass sie bei uns richtig aufgehoben sind.
Wie gestalten Sie als Betriebsrat Qualifizierung mit?
Karola Frank: Wir identifizieren, welche Tätigkeiten wegfallen und welche wir für die Zukunft aufbauen müssen. Wir haben einen Marktplatz für neue Tätigkeiten aufgebaut, auf dem die Beschäftigten sich orientieren können. Dieses Instrument haben wir inzwischen erfolgreich über alle Fachbereiche ausgerollt und steuern damit die Personalprozesse für das ganze Unternehmen.
„Die klassische Vorratsqualifizierung funktioniert nicht mehr.“
Rita Beck: Klar ist: Die klassische Vorratsqualifizierung funktioniert nicht mehr. Die Menschen wollen, dass Qualifizierung zielführend in Richtung einer Anschlussbeschäftigung ist, und sie wollen ihre eigenen Stärken einbringen. Deswegen haben wir Personaltransformationsteams aufgebaut, in denen wir mit HR und den Fachbereichen zusammenarbeiten und die Themen für die nächsten zehn Jahre identifizieren. Es ist extrem wichtig, dass die Fachbereiche mit ihrem Wissen und ihren Erfahrungen Gehör finden. Wir können nur richtig qualifizieren, wenn wir wissen, wo die Reise hingeht.
Betriebsvereinbarung Hybrides Arbeiten
Die im Oktober 2022 in Kraft getretene Betriebsvereinbarung „Hybrides Arbeiten“ setzt auf die Verantwortung der Mitarbeitenden und verzichtet auf feste Regeln zur Anwesenheit im Betrieb. Dies bedeutet unter anderem: Die Beschäftigten können ihre Präsenztage frei wählen und Büroräume flexibel nutzen. In Produktionsbereichen werden der Zugang zu digitalen Angeboten und die Qualität der Aufenthaltsräume verbessert. Auch im Schichtbetrieb werden derzeit flexiblere Arbeitszeitmodelle entwickelt und implementiert.
Sie haben auch eine weitreichende Betriebsvereinbarung für hybrides Arbeiten getroffen. Erweist sie sich als praxistauglich?
Karola Frank: Definitiv, weil wir damit einen völlig neuen Weg eingeschlagen haben. Die Kolleginnen und Kollegen organisieren sich eigenständig. Es gibt keine bürokratischen Vorgaben für fixe Präsenztage. Und dennoch: Zwei Drittel der Belegschaftsmitglieder sind zwei bis drei Tage die Woche anwesend, weil es für sie einfach Sinn macht. Corona hat gezeigt, dass es – zumindest im Angestelltenbereich – kaum eine Aufgabe gibt, die man nicht von zu Hause machen kann. Jetzt müssen wir auch unsere Führungskräfte für die digitale Welt qualifizieren und empowern. Insgesamt bietet hybrides Arbeiten viele Mehrwerte, zum Beispiel für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Und wir zeigen damit vor allem den neuen Beschäftigten-Generationen, dass wir uns auf der Höhe der Zeit bewegen.
Rita Beck: Gleichzeitig schaffen wir Mehrwerte auch für die, die täglich reinkommen müssen, verbessern zum Beispiel die Aufenthaltsqualität, gestalten Räume freundlicher, ermöglichen auch Produktionsmitarbeitenden flächendeckend Zugang zu PCs. Wenn wir über Benifits sprechen, denken wir alle Kolleginnen und Kollegen mit.
„Wir müssen auch die Führungskräfte für die digitale Welt qualifizieren und empowern.“
Aber auch in der Produktion gibt es inzwischen mehr Möglichkeiten zur Flexibilisierung – dank Ihres Transformationsprojekts „Flexibles Arbeiten in der Schicht“.
Rita Beck: Ein echtes Vorreiterprojekt in der deutschen Automobilindustrie, in dem wir gemeinsam mit den Beschäftigten und dem Management verkrustete Strukturen in der Arbeitsorganisation aufgebrochen haben. In der Lackiererei, die das Projekt initiiert hat, hat sich inzwischen ein flexibles Schichtsystem fest etabliert und wird jetzt über die Produktionsbereiche ausgerollt. Es hat sich auch der Mindset der Leitung mit Blick auf die Produktion verändert. Man hat dort erkannt, dass es in der heutigen Zeit zu einem attraktiven Arbeitgeber dazugehört, flexibles Arbeiten auch für die Produktionsbeschäftigten möglich zu machen – für Frauen und Männer.
Betriebliches Praxislaboratorium Flexibles Arbeiten in der Schicht
Im Praxislaboratorium „Flexibles Arbeiten in der Schicht“ haben Wissenschaftlerinnen des ISF München sowie Beschäftigte und Führungskräfte aus der Lackiererei der AUDI AG in Ingolstadt in einem agilen, beteiligungsorientierten und sozialpartnerschaftlichen Prozess ein flexibles Schichtmodell entwickelt und erprobt. Es ermöglicht erstmals eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben für Menschen in der getakteten industriellen Produktion. In der Lackiererei implementiert, wird es jetzt in andere Bereiche ausgerollt.
Wagen Sie einen Blick in die Zukunft? Welche Chancen, Risiken und vielleicht auch neue Belastungen bringt die digitale Transformation für Frauen?
Karola Frank: Ich bin überzeugt, dass es aktuell mehr Chancen als Risiken gibt. Nicht nur mit Blick auf das Thema Vereinbarkeit. Deutlich mehr Frauen gehen heute ins technische Feld, und je mehr Frauen reinkommen, umso mehr verändert sich der Mindset des Zusammenarbeitens, umso selbstverständlicher wird es, dass Dinge sich verändern. Die Begrenzung der Arbeitszeit und die Schutzfunktion, die wir gegenüber den Beschäftigten an dem Punkt haben, bleibt natürlich ein Thema. Das gilt aber für alle.
Rita Beck: Auch in den Fertigungsbereichen entstehen gerade große Chancen für den Einsatz von Frauen. Wenn heute in Mexiko eine Anlage kaputtgeht, muss sich die Mechatronikerin aus der Instandhaltung nicht mehr in den Flieger setzen, sondern kann das im Prinzip per Laptop sogar von zu Hause aus regeln.
„Ich bin überzeugt, dass es aktuell mehr Chancen als Risiken gibt.“
Sie beide haben sich in einer männerdominierten Industrie durchgesetzt. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht, die Sie mit anderen Frauen teilen wollen?
Rita Beck: Ich bin seit 35 Jahren in der Firma, war zehn Jahre in der Jugendvertretung und habe mir über die Qualitätssicherung ein Netzwerk aufgebaut, das ich als Betriebsrätin gut nutzen kann. In meinem Fachbereich war ich die einzige Frau in einem Großraumbüro mit zwölf Männern. Man muss sich als Frau anders beweisen, mehr Kompetenzen mitbringen und immer eine Schippe drauflegen. Das ist jetzt besser geworden. Aber vor zehn, 15 Jahren musste man als Frau ganz klar mehr leisten.
„Man muss sich als Frau anders beweisen, mehr Kompetenzen mitbringen und immer eine Schippe drauflegen.“
Karola Frank: Am Ende des Tages ist es doch so: Wenn du etwas zu sagen hast, steh auf und mach den Mund auf. Wenn man sich nicht äußert in einer männerdominierten Branche, wird es schwierig. Generell rate ich Frauen, mit Fachlichkeit zu überzeugen. Auch als Betriebsrätin wird man am Ende des Tages daran gemessen, was man weiß und kann.