Foto: Gesellschaft für Informatik e.V./Fabian Hammerl

„Für Frauen entstehen in der Tech-Ökonomie völlig neue Chancen und Rahmen­bedingungen“

Sie will Frauen bestärken und für technische Berufe gewinnen. Christine Regitz, Präsidentin der Gesellschaft für Informatik und Mitglied im Aufsichtsrat der SAP SE, wirbt für eine „informatische Grundbildung“ und mehr „Technologiechancenabschätzung“. In diesem Gespräch erklärt sie, worauf es ankommt in der Tech-Ökonomie und wie wichtig es ist, den neuen beruflichen Alltag dort zu zeigen, um Frauen für diese Zukunftswelt zu gewinnen.

Frau Regitz, Alle reden über die Tech-Ökonomie. Können Sie uns erklären, was sich dahinter verbirgt?

In der heutigen Zeit ist eigentlich jedes Unternehmen ein Tech-Unternehmen. Cariad zum Beispiel, die Software-Tochter von VW, beschäftigt inzwischen mehrere tausend Menschen. Das zeigt uns, dass nicht nur „Klassiker“ wie die SAP, Telekom oder Software AG die Tech-Ökononomie prägen, sondern dass alle Unternehmen iin Richtung Tech gehen – egal in welcher Branche. Diese Transformation geht durch die komplette Ökonomie.

Mit welchen Folgen?

Vor allem die Geschäftsprozesse verändern sich, aber auch die Produkte. Ein Auto ist heute ein Computer auf vier Rädern mit viel Elektronik und KI und wenig Mechanik. Und alles, was automatisiert werden kann, wird automatisiert auch, wenn es zum Beispiel im Handwerk oder der Medizin weiterhin Spezialistentum geben wird. ChatGPT zeigt uns gerade, wie sich auch Bereiche ändern, die wir bislang nicht im Fokus hatten. Auch die kreativen Berufe sind nicht mehr sicher. Auch dort wird es jetzt Disruption durch Technik geben. Wir brauchen also einen kompletten Mindset-Shift.

„Es geht um mehr als Informatik und Programmieren. Es geht um die Fähigkeit, sich mit neuen Technologien in allen Facetten auseinanderzusetzen.“

Wie reflektiert unsere Gesellschaft diesen Umbruch? Was wissen die Menschen von der Tech-Ökonomie?

Da kommen wir genau an den Knackpunkt. Ich glaube, dass die meisten Menschen für die Tech-Ökonomie nicht ausgebildet sind. Wir behandeln das Thema schon in den Schulen stiefmütterlich. Es geht ja um mehr als Informatik und Programmieren. Es geht um die Fähigkeit, sich mit neuen Technologien in allen Facetten auseinanderzusetzen. Diese Fähigkeit haben wir bislang nicht, das heißt heute diskutieren viele Menschen mit einem sehr geringen Wissensstand über das Thema. Damit wachsen nicht nur Angst und Verunsicherung. Wir werden auch irgendwann abgehängt sein im Vergleich zu anderen Nationen, die den richtigen Fokus setzen.

Was schlagen Sie vor?

Einer meiner Vorgänger an der Spitze der Gesellschaft für Informatik hat gesagt: Informatische Grundbildung muss eine Kulturtechnik werden so wie Rechnen, Lesen und Schreiben. Das trifft es genau. Wir müssen die jungen Menschen erreichen, aber auch die Breite der Gesellschaft. Deswegen ist es gut, dass wir – so wie Sie das in Ihrem Projekt ja auch machen – diskutieren: Was ist eigentlich Tech-Ökonomie? Welche Chancen bietet sie? Was bringt der Mensch mit seinen kognitiven und motorischen Fähigkeiten in diese Welt mit, die eine Maschine nicht erlernen kann? Diese Diskussion könnte dem Ganzen einen positiven Spin geben. In Deutschland sind wir gut in der Technikfolgenabschätzung. Aber wir müssen mehr in eine Technologiechanceneinschätzung reinkommen.

Wie würden sie diese neue grundlegende Kulturtechnik beschreiben?

Sie besteht aus drei zentralen Komponenten. Die haben wir als Gesellschaft für Informatik in einem interdisziplinären Papier festgeschrieben. Sie umfasst erstens ein Verständnis für die Technik und ihre Funktionsweise. Zum zweiten geht es um die Anwendung. Wir müssen die Tools, die wir nutzen, kritisch begleiten. Was bedeutet es zum Beispiel für meine Bildrechte, wenn ich auf Instagram Fotos poste? Die meisten Jugendlichen, mit denen ich gesprochen habe, wissen das nicht. Die dritte Ebene ist die gesellschaftliche. Wir brauchen einen Konsens, wie wir in Zukunft mit neuen Technologien umgehen wollen.

„Innovationen entstehen, wenn Menschen zusammenkommen, die Bestehendes hinterfragen, die sich austauschen und inkrementell arbeiten, sodass etwas ganz Neues entstehen kann.“

Hat die öffentliche Diskussion sich inzwischen weiterentwickelt?

Schon. Im Moment gibt es viele zarte Pflänzchen, zum Beispiel Bundesländer, die an den Schulen ein Pflichtfach Informatik einführen. Wir sehen auch viele Studien, die unisono besagen. „Es ist unglaublich wichtig, dass ein solches Fach kommt, egal wie man es am Ende nennt. Sonst haben wir irgendwann ein Innovationsproblem“. Es gibt also Fortschritte, aber noch lange nicht genug.

Stichwort Innovationen. Wie entstehen Innovationen und neue Produkte in Tech-Unternehmen?

Innovationen entstehen, wenn Menschen zusammenkommen, die Bestehendes hinterfragen, die sich austauschen und inkrementell arbeiten, so dass etwas ganz Neues entstehen kann. Das iPhone ist ein super Beispiel. Steve Jobs hat mehrere Devices, die es schon gab, neu zusammengeführt, gewartet bis die Hardwareentwicklung weit genug war und dann eine komplette Welt verändert. Aber ohne sein Team hätte er das nie geschafft. Mit ChatGPT erleben wir gerade das Gleiche.

Was müssen die Menschen mitbringen, die in solchen Innovationsteams arbeiten?

In der Tech-Branche brauchen Sie vor allem zwei Kompetenzen: Team- und Kommunikationsfähigkeit. Und eine gute Grundausbildung in allen Kulturtechniken inklusive eines informatischen Grundwissens. Sie brauchen Menschen, die neugierig und offen sind und ihre unterschiedlichen Disziplinen, Sichtweisen, Bildungshintergründe und Lebenserfahrungen einbringen. Für Frauen entstehen in der Tech-Ökonomie gerade völlig neue Chancen und Rahmenbedingungen.

„Es ist wichtig, Lebenswege zu zeigen und die Geschichte der Frauen zu erzählen, die in der Tech-Ökonomie angekommen sind.“

Wie wollen Sie Frauen für das technische Feld motivieren?

Ich möchte ihnen erklären, worum es wirklich geht und was man braucht, wenn man heute in einem Technologieunternehmen arbeiten möchte. Man muss dafür nicht theoretische Informatik studiert haben. Man braucht eine gute Basisbildung und die Fähigkeit sich in heterogenen und diversen Teams zu bewegen. Und ich möchte Frauen ermutigen, ihre Komfortzone zu verlassen, sich zu trauen und zu verstehen, dass sie es können.

Und was kann man tun, um dieses Feld weiter für Frauen zu öffnen?

Wir müssen zeigen, wie vielseitig der berufliche Alltag in Tech-Unternehmen sein kann. Hierfür braucht es klare Beschreibungen der Berufsbilder und lebensnahe Vorbilder. Es ist wichtig, Lebenswege zu zeigen und die Geschichten der Frauen zu erzählen, die in der Tech-Ökonomie angekommen sind. Gleichzeitig liegt es an den Unternehmen, etwaigen Vorurteilen und Diskriminierung entschieden entgegenzutreten und ein Arbeitsumfeld zu schaffen, in dem sich alle wohlfühlen und die gleichen Chancen haben.