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Frauen in der Tech-Ökonomie:
Zeit für einen Perspektiven­wechsel

Angesichts des Fachkräftemangels in den technischen Berufen werden Frauen dringend gebraucht. In Vorreiterunternehmen der Tech-Ökonomie sind sie schon heute Wegbereiterinnen einer modernen Transformations- und Innovationskultur. Nicht unbedingt, weil sie Asse in Mathematik, Technik oder Informatik sind, sondern weil sie neben ihrem technischen Know-How ein Verständnis mitbringen, wie kollektive Innovationsprozesse in sozio-technischen Systemen funktionieren. Die Arbeitsforscherinnen Anja Bultemeier und Kira Marrs sind deshalb überzeugt: Es ist Zeit für eine gendersensible Perspektive auf die Tech-Ökonomie.

Fachkräftemangel: Potenziale von Frauen nutzen

Weniger als ein Viertel aller technischen Positionen in europäischen Unternehmen sind mit Frauen besetzt. Gleichzeitig fehlen allein in Deutschland bis 2027 fast 800.000 Fachkräfte im Technologieumfeld. Dies besagt eine Analyse der Unternehmensberatung McKinsey & Company von Januar 2023. Die Analysten von McKinsey finden diese Zahlen „atemberaubend“ angesichts der Tatsache, dass neue Technologien in der heutigen Welt eine der entscheidenden Grundlagen sind für Innovation und Wachstum. Mit Blick auf die so genannten MINT-Fächer gehen laut McKinsey Frauen an zwei Punkten in signifikanter Höhe verloren: zum einen am Übergang von der Primar- und Unterstufe zur Universität, zum anderen beim Schritt von der Universität ins Berufsleben. Auch für die Expertinnen und Experten des Instituts für Innovation und Technik (iiT) der VDI/VDE Innovation + Technik GmbH sind Frauen ein ungehobenes Potenzial der sich „rasant entwickelnden“ Internetwirtschaft. Unternehmen, die hier im Wettstreit um Talente bestehen wollen, empfehlen sie die Gruppe der weiblichen Fach- und Führungskräfte „besonders im Auge zu behalten“.

„In den Transformationsprozessen der Tech-Ökonomie spielen Frauen eine zentrale Rolle. Sie treiben Innovationen offensiv, selbstbewusst und durchsetzungsstark voran, in vielfältigen Rollen und mit vielfältigen Expertisen.“

Dr. Kira Marrs

Wissenschaftlerin, ISF München

Neuer Innovationsmodus: Frauen zeigen, wie es geht

Fremdeln Frauen mit dieser Welt, sind sie dort unerwünscht oder beides? Das viel beschworene schwierige Verhältnis zwischen Frauen und Technik können Bultemeier und Marrs nicht uneingeschränkt bestätigen. Ihre Studien in Vorreiter-Unternehmen der Tech-Ökonomie zeigen einen neuen Trend: „In den Transformationsprozessen der Tech-Ökonomie spielen Frauen eine zentrale Rolle“, stellt Kira Marrs fest. „Sie treiben Innovationen offensiv, selbstbewusst und durchsetzungsstark voran, in vielfältigen Rollen und mit vielfältigen Expertisen“. Die beiden Wissenschaftlerinnen verweisen auf unterschiedliche Promotorinnen des neuen Innovationsmodus, die sie im Rahmen ihrer Erhebungen befragt haben: eine Product Ownerin, die an der Schnittstelle zwischen Kundinnen und Kunden und den Entwicklungsteams den Prozess managt, die Bedarfe kommuniziert und neue Trends antizipiert; eine Akademikerin ohne technische Qualifikation, die aus einer „User-Perspektive“ heraus erfolgreich ein App-Entwicklungsteam für Bankensoftware steuert; eine Innovations-Managerin, die die Zusammenarbeit von Teams über Funktions- und Professionsgrenzen hinweg für eine „Innovativität in Permanenz“ orchestiert.

Tech-Ökonomie: Neue Rahmenbedingungen für Frauen

„Diese Frauen stehen stellvertretend für viele, die strategisch die Initiative ergreifen, Neuerfindungsprozesse anstoßen, ihre Arbeitswelt kreativ verändern und so die Zukunft von Unternehmen und Wirtschaft mitgestalten“, erläutert Anja Bultemeier. Dass Frauen in den beforschten Tech-Unternehmen ihre (neue) Rolle finden und darin erfolgreich Fuß fassen, liegt nach Überzeugung der beiden Wissenschaftlerinnen an der grundlegend neuen Art und Weise wie hier Innovationen gemacht werden. Jenseits der geschlossenen Welt der Forschungs- und Entwicklungsabteilungen entstehen sie in offenen Netzwerken, die sich konsequent am alltäglichen Gebrauchswert eines Produktes orientieren und in denen interdisziplinäre Akteurinnen und Akteure auf der Basis von Daten gemeinsam lernen und ihr Wissen teilen. Technik, Programmierung, Hard- und Softwareexpertise werden in diesem Umfeld auch gebraucht, verlieren aber ihr Alleinstellungsmerkmal. Um das vielschichtige Zusammenwirken von Menschen mit unterschiedlichen Kompe­tenz­profilen, beruflichen Hintergründen und Einstellungen zu organisieren sind neue Skills und Talente gefragt. Für Frauen schafft dies vielversprechende Rahmenbedingungen.

 

„Diese Frauen stehen stellvertretend für viele, die strategisch die Initiative ergreifen, Neuerfindungsprozesse anstoßen, ihre Arbeitswelt kreativ verändern und so die Zukunft von Unternehmen und Wirtschaft mitgestalten.“

Dipl.-Pol. Anja Bultemeier

Wissenschaftlerin, FAU Erlangen-Nürnberg

Weichenstellung: MINT ist nicht alles

„Viele erwarten vermutlich, dass die Tech-Ökonomie die viel diskutierte MINT-Problematik zuspitzt und die Begrenzungen für Frauen weiter verschärft“, sagen Marrs und Bultemeier. „Unser Eindruck ist, dass die Tech-Ökonomie neue Zugänge in technische Berufe schafft, das Feld weiter öffnet und damit das Potenzial für eine Trendwende schafft.“ Für sie weist zudem vieles darauf hin, dass mit den neuen Kompetenzanforderungen in interprofessionellen Teams, dem Kompetenzmix in der Teamzusammenstellung und neuen beruflichen Zugangswegen die Tech-Ökonomie aus der Perspektive der MINT-Fächer, die beinahe schon unbewusst Begeisterung für Mathematik, Tüfteleien, Programmieren und ein Leben als Ingenieur oder Ingenieurin suggeriert, überhaupt nicht mehr adäquat zu fassen ist. Will man die Identität der Tech-Ökonomie definieren gehört für die beiden Wissenschaftlerinnen die Fähigkeit zu Agilität ebenso dazu wie das Denken in Transformationsprozessen oder die Eignung für interdisziplinäre, crossfunktionale Arbeit mit hohen kommunikativen Anforderungen. Sie sagen: „MINT ist nicht alles. Es wird Zeit, die Tech-Ökonomie aus einem genderspezifischen Blickwinkel zu betrachten“.

 

Wussten Sie schon,

dass im Technologie-Sektor der EU-27-Länder bis 2027 1,4 bis 3,9 Millionen Talente fehlen? Und dass Fachleute prognostizieren: Wenn Europa die Anzahl an Frauen um 45 % erhöhen würde, das Gap geschlossen und das BIP um 260 bis 600 Mio $ steigen würde?

Quelle: McKinsey

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