Foto: Atruvia AG

„Frauen können natürlich Technik, aber bei uns geht es um mehr“

Sie gehört zu den „Tech-Frauen“ der ersten Stunde. Ihre Karriere hat sie bis in den Vorstand der Atruvia AG geführt. Eingeschränkt hat sich Daniela Bücker, die bei Atruvia den Bereich Banking-Lösungen verantwortet, als Frau unter vielen Männern in der deutschen Unternehmenswelt nie gefühlt. Hier verrät sie, warum das Thema Chancengerechtigkeit sie dennoch besorgt und agile Strukturen gute Rahmenbedingungen für Frauen schaffen können.

Frau Bücker, Sie haben viele verschiedene Führungsaufgaben im Bereich der IT-Dienstleistungen bekleidet. Welche Erfahrungen haben Sie im Tech-Bereich gemacht?

Ich hatte das Glück, schon zu Beginn meiner Karriere Förderer an meiner Seite zu haben, die sich für mich eingesetzt und mir Türen geöffnet haben. Als ich nach meinem Abschluss als Wirtschaftsinformatikerin in einer Unternehmensberatung gestartet bin, wurde dort schon Anfang der 2000er Jahre über die Glasdecke diskutiert und darüber, was man tun muss, um Frauen gleichberechtigt Chancen zu ermöglichen. Ich hatte dort nie das Gefühl, dass ich begrenzt werde, sondern dass ich das machen kann, was ich möchte und wozu ich in der Lage bin. Mit diesem Gefühl bin ich dann auch in die GAD eG gewechselt.

Ein Vorgänger-Unternehmen der heutigen Atruvia AG.

Genau. Dort habe ich viele Stationen durchlaufen von der Mitarbeiterin bis zur Vorständin der heutigen Atruvia und dabei viel Zuspruch bekommen. Daraus habe ich meine Motivation gezogen. Man merkt natürlich immer wieder, dass man die einzige Frau ist und so auch angesprochen wird, zum Beispiel in Mails, in denen „sehr geehrte Frau Bücker, sehr geehrte Herren“ steht. Aber ich habe mich immer bemüht, für mich die positiven Aspekte wahrzunehmen. Das ist vielleicht auch Teil des Filters, den man anwenden muss, um die negativen Aspekte, die es sicher auch gibt, nicht an sich heranzulassen.

Sie haben erst die Fusion zur Fiducia & GAD IT AG und dann die Transformation zur agilen Atruvia AG mit begleitet. Wo steht das Unternehmen heute?

Ein Kennzeichen agiler Transformation ist ja, dass man nie ganz fertig sein wird. Es wird immer Einflüsse von außen und von innen geben, an die wir uns laufend anpassen müssen. Momentan zeigt sich, dass wir gute Strukturen geschaffen haben, dass wir aber unsere Ablauforganisation noch konsequenter agilisieren müssen. Wir müssen zum Beispiel Vertrieb und die Marktfolge einer Bank noch stärker gemeinsam denken und den Zuschnitt der Servicefelder weiter anpassen. Mit unseren neuen agilen Rollen wie Tribe und People Leads sind wir gut gestartet. Wir merken aber, dass wir zusätzliche Rollen brauchen.

Zum Beispiel?

Neue Architekturrollen. Wir haben festgestellt, dass es wichtig ist, dass Menschen eine übergreifende Sicht auf die Softwarearchitektur herstellen können und dafür sorgen, dass alle Einzelteile des Gesamtsystems konsistent zusammenspielen. Hierfür braucht man ein gutes strukturelles Verständnis für Produktarchitektur und ein gutes Überblickswissen.

„Wir wollen die Menschen dazu empowern, eigenverantwortlich zu agieren, und die Entscheidungskompetenz dahin bringen, wo die fachliche Kompetenz liegt.“

Wie macht sich Agilität in Ihrem Verantwortungsbereich bemerkbar?

Agilität hat viele Facetten und passt auch nicht überall. Der Kundenservice zum Beispiel kann nicht in Plannings arbeiten. Er ist ad hoc getrieben durch Anrufe von Kundinnen und Kunden, die sofort bearbeitet werden müssen. Aber Agilität spielt dennoch eine wichtige Rolle. Zum Beispiel, wenn in Krisensituationen Entscheidungen getroffen werden müssen. Wir wollen die Menschen dazu empowern, eigenverantwortlich zu agieren, und die Entscheidungskompetenz dahin bringen, wo die fachliche Kompetenz liegt.

Was bedeutet das für Sie als Führungskraft?​

Als Führungskraft muss ich die richtigen Leute an die richtigen Stellen bringen und Rahmenbedingungen schaffen, in denen wir alle gut agieren können. Es ist auch wichtig zu vermitteln: Was ist der Sinn? Warum machen wir das und wo wollen wir hin? Wir müssen kulturelle Werte schaffen, Orientierung geben und einen groben Rahmen aufbauen, in dem die Mitarbeitenden sich entfalten können.

Welche Möglichkeiten bietet ein solches Umfeld für Frauen?

Ich bin überzeugt, dass das agile Modell eine ganze Menge neuer Rollen bringt, in denen Frauen sich entwickeln können. Natürlich können Frauen Technik, aber bei uns geht es um mehr – um koordinierende, organisationale und bankfachliche Aufgaben. Rollen wie Scrum Master, Product Owner oder auch die neuen Architekturrollen, die wir planen, sind nicht technisch, werden aber in einem technischen Umfeld gebraucht. Ich erlebe zum Beispiel, wie Frauen sich dafür begeistern können, Teams zu unterstützen, ihnen gute Rahmenbedingungen zu schaffen und so Innovation und Transformation mit voranzutreiben. Agilität kann für Frauen das technische Feld anders öffnen. Entscheidend ist: Atruvia braucht einen guten Mix an Fähigkeiten. Das macht am Ende auch ein gutes Produkt aus.

„Bunte Teams erreichen die besten Ergebnisse. Wir müssen in allen Teams aufpassen, dass wir keinen männlichen Bias darin haben.“

Wie wirken sich divers zusammengesetzte Teams auf die Produktentwicklung aus?

Bunte Teams erreichen die besten Ergebnisse. Wir müssen in allen Teams aufpassen, dass wir keinen männlichen Bias darin haben. Denn unsere Produkte werden ja von ganz verschiedenen Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen genutzt. Schauen Sie sich zum Beispiel eine Banking-App an. Deren Bedienung muss für alle möglichen Kundengruppen funktionieren. Da geht es um die Ergonomie, die Haptik, das Design. Wir müssen die Breite der Bevölkerung adressieren.

Sehen Sie momentan Hürden, die Frauen auch in einem agilen Setting im Wege stehen?

Was mich besorgt, zumindest bei uns, ist die hohe Teilzeitquote, die im Grunde ausschließlich durch Frauen zustande kommt. Ich bin absolut dafür, dass Familie und Beruf in einem guten Mix stattfinden. Dass aber offensichtlich ganz überwiegend Frauen in Teilzeit gehen, um Familien- und Carearbeit zu ermöglichen, empfinde ich als echtes Hindernis. Ich glaube, es ist eine gesellschaftliche Aufgabe, für Chancengleichheit zu sorgen.

Welche Stellschrauben könnte denn ein Unternehmen wie Atruvia für mehr Chancengleichheit bewegen?​

Wir haben momentan darauf noch keine richtige Antwort. Rund 20 % unserer Führungskräfte sind Frauen. Das ist zu wenig. Rund 25 % der Mitarbeitenden sind weiblich. Das ist im Marktvergleich relativ gut für ein Tech-Unternehmen. Aber von einem 50:50-Verhältnis sind wir weit entfernt. Eines unserer „Enkelunternehmen“, das für uns in Rumänien Nearshore-Entwicklung macht, hat eine solche Quote. Dort ist es attraktiv, in Tech zu arbeiten. Niemand stellt die Frage, warum man das machen sollte oder nicht. Der Altersdurchschnitt liegt bei Anfang 30 und es herrscht einfach ein anderer Spirit. Das zeigt mir, dass es geht und dass wir das auch hier in Deutschland hinbekommen müssen.

Wie wollen Sie das Thema voranbringen?

Wir sprechen gerade mit den Mitarbeitenden, um herauszubekommen, woran es liegt und was wir an Rahmenbedingungen verändern können. Wir hatten gerade im Nachgang des Forschungsprojekts #WomenDigit zwei große Events, bei denen wir die Menschen zusammengebracht haben, um die Ursachen und Probleme zu identifizieren, Lösungsideen zu teilen und Netzwerke aufzubauen. Das gibt uns ersten Wind unter den Segeln und den möchte ich jetzt nutzen.