Fotos: Natascha Eckert: © Siemens AG; Laura Engelhardt: © Chris Tille

Experimentierlab für die Tech-Ökonomie:
GLOW@TI stärkt Frauen und die Innovationskultur

2010 in der Forschungs- und Entwicklungsabteilung der Siemens AG gestartet, unterstützt das Frauennetzwerk GLOW@TI heute unternehmensweit Frauen in ihrer persönlichen Entwicklung. Es füllt die Führungskräfte-Pipeline und fördert eine neue Innovationskultur. Mitgründerin Natascha Eckert und GLOW-Alumna Laura Engelhardt erklären, warum das Netzwerk so erfolgreich ist und welche Bedeutung es für die Tech-Ökonomie hat.

Natascha Eckert leitet bei Siemens Technology die Abteilung „Research and Innovation Ecosystem“. Sie vertritt Siemens in zahlreichen universitären Gremien und Innovationsnetzwerken.

Laura Engelhardt leitet bei der Siemens AG die Abteilung „Technology and Innovation Strategy“. Sie treibt die Themen Nachhaltigkeit und digitale Transformation durch strategisches Foresight und Open Innovation in neuen Innovations-Ökosystemen voran.

Frau Eckert, Sie setzen sich seit dreizehn Jahren für das Netzwerk Global Leadership of Women@Technology and Innovation ein. Wie ist GLOW@TI entstanden?

Eckert: Unsere damalige Chief Diversity Officerin Jill Lee hat seinerzeit alle Frauen in Führungspositionen zusammengetrommelt, um nach Wegen zu suchen, wie wir unseren talentierten weiblichen Nachwuchs fördern können. Wir wollten Frauen dabei unterstützen, ihre eigenen Stärken zu entdecken und zu entfalten. Wir haben diese Idee dann mit in die Forschungs- und Entwicklungsabteilung genommen und begonnen, Frauen, die in unseren Laboren, aber auch in der Patentabteilung oder der Verwaltung arbeiten, sichtbar zu machen und als Führungskräfte aufzubauen. Später dann haben wir mit GLOW+@TI zusätzlich auch ein Entwicklungsprogramm für zukünftige weibliche Führungskräfte aufgebaut.

 

Wie ging es danach weiter?

Eckert: Wir haben offene Türen eingerannt. Die Frauen waren begeistert, dass wir sie in der männerdominierten Technology mit Gleichgesinnten zusammengebracht haben. Heute ist GLOW@TI siemensweit unterwegs und mit anderen Frauennetzwerken im Austausch – ein komplexes Netzwerk mit selbstorganisierten Gruppen, die Zukunftsthemen vorantreiben, und mit klaren Strukturen, in denen wir junge Frauen mit Potenzial fördern, aber auch weibliche Führungskräfte, die sich umorientieren wollen.

Engelhardt: GLOW ist schnell gewachsen und über die Jahre stabil geblieben – mit rund 500 Mitgliedern, inklusive der Alumnas, von denen 100 regelmäßig aktiv sind. 16 Führungskräfte engagieren sich hier neben ihrem eigentlichen Job. Derzeit sind 75 talentierte junge GLOW+@TI-Frauen in der Führungskräfte-Pipeline.

„Im Netzwerk hat sich über die Jahre der Anspruch entwickelt: Wir sind lösungsorientiert und wollen im Konzern etwas verändern.“

Dr. Natascha Eckert

Global Head of Research and Innovation Ecosystem, Siemens AG

Sie sind 2014 als Teilnehmerin des ersten GLOW+-Programms für talentierte Nachwuchsführungskräfte dazugestoßen. Was ist für Sie das Besondere an GLOW?

Engelhardt: Wir leben bestimmte Werte und sind überzeugt, dass die Entwicklung von Führungskräften bei der Persönlichkeitsentwicklung beginnt. Darum kümmern wir uns in der Tiefe und schaffen einen Entwicklungsraum, in dem wir anhand von strategisch relevanten Themen, die am Puls der Zeit sind, austesten, wie wir anders zusammenarbeiten oder eine Organisation anders entwickeln können. Denn GLOW ist kein Kaffeekränzchen am Nachmittag. Es ist ein Experimentierlab für neue Geschäfts- und Innovationsökosysteme. Vieles, was ich heute im Unternehmen sehe, basiert auf GLOW-Erlebnissen.

Eckert: Wir greifen Trends auf. Früher ging es um Themen wie Projektcontrolling und Kundenzufriedenheit, heute stehen New Work, Agilität, Nachhaltigkeit oder Achtsamkeit auf der Agenda. Wichtig ist, dass die Frauen ihre Themen, Formate und Projekte selbst bestimmen. Im Netzwerk hat sich über die Jahre der Anspruch entwickelt: Wir sind lösungsorientiert und wollen im Konzern etwas verändern.

„Die Frage ist: Wie schaffen wir es, bei Siemens Menschen so zu empowern, dass sie großartige Innovationen auf die Straße bringen?“

Laura Engelhardt

Head of Technology and Innovation Strategy, Siemens Technology

Können Sie uns ein Beispiel nennen für neue Initiativen, die GLOW bei Siemens angestoßen hat?

Engelhardt: Unser Intrapreneurs Bootcamp ist ein super Beispiel. Im Rahmen von GLOW+ habe ich einen sehr intensiven Entwicklungsprozess durchlaufen: Wer bin ich? Wo will ich hin? Worauf kann ich aufbauen? Das hat mich zu dem Thema soziale Innovation geführt und am Ende zu der Frage, mit der ich mich bis heute beschäftige: „Wie schaffen wir es, bei Siemens Menschen so zu empowern, dass sie großartige Innovationen auf die Straße bringen?“ Das war die Geburtsstunde des Intrapreneurs Bootcamps, das inzwischen ein großartiges Team hervorragend weiterführt und zu einem etablierten Programm skaliert hat.

„GLOW+@TI ist ein Booster für das Selbstbewusstsein. Im Grunde machen wir Personalentwicklung.“

Dr. Natascha Eckert

Global Head of Research and Innovation Ecosystem, Siemens AG

Hat das Netzwerk Frauen sichtbarer und selbstbewusster gemacht?

Eckert: Ich konnte jeden GLOW+@TI-Jahrgang begleiten. Und die Entwicklung zu beobachten, die die Teilnehmerinnen innerhalb eines Jahres machen, ist faszinierend. Sie starten in einem Team von acht bis neun Frauen, sind noch ein wenig scheu und wollen sich nicht in der ersten Reihe exponieren. Bei der Abschlussveranstaltung begegne ich dann selbstbewussten und vielfältig aufgestellten Persönlichkeiten. Drei Viertel der Absolventinnen haben danach eine andere Aufgabe – zum Teil auch Führungsaufgaben – übernommen oder haben sich bewusst für eine Expertinnenkarriere entschieden. GLOW+@TI ist ein Booster für das Selbstbewusstsein. Im Grunde machen wir Personalentwicklung. Denn unsere Frauen ziehen andere nach. Laura ist dafür ein gutes Bespiel.

Engelhardt: Ich bin ja Maschinenbauingenieurin. Als ich bei Siemens gestartet bin, musste man weit schauen, bis man im Innovations- und Technologiebereich eine Frau als Führungskraft gesehen hat. Das Argument war immer: „Wir würden ja gerne, aber die Pipeline ist nicht gefüllt.“ Und genau dort setzt GLOW an. Wir entwickeln die Pipeline. Inzwischen hat sich sehr viel getan. Es gibt viel mehr Frauen in Führungspositionen, die Kultur hat sich über die Abteilungsgrenzen hinweg verändert, wir arbeiten kollaborativer, Diversität wird immer lebendiger.

 

Welches Ansehen genießt das Netzwerk im Unternehmen?

Eckert. Das Management hat uns von Anfang an unterstützt und inzwischen haben wir uns mit unseren Projekten, Formaten und Initiativen bei Siemens als ein Netzwerk mit Vorbildcharakter etabliert.

Engelhardt: Das Nachwuchsprogramm GLOW+ zum Beispiel wurde schon früh in der Personalabteilung verankert.

Eckert: Und das garantiert uns, dass die Teilnehmerinnen in offiziellen Personalgesprächen eine besondere Aufmerksamkeit bekommen. Es gibt inzwischen auch mehr Erfinderinnen des Jahres, eine Auszeichnung, die leider nach wie vor sehr männlich dominiert ist. Aber immer mehr Frauen stehen jetzt dort auf der Bühne. Auch das zeigt, dass GLOW@TI aktiv als Pool genutzt wird.

„GLOW+@TI hat mir die Augen geöffnet für Dinge, die ich vorher nicht gesehen habe.“

Laura Engelhardt

Head of Technology and Innovation Strategy, Siemens Technology

Wie hat GLOW+@TI Sie selbst bestärkt?

Engelhardt: Es hat mir die Augen geöffnet für Dinge, die ich vorher nicht gesehen habe. Ich habe gelernt, wie ich unabhängig von der Frage männlich-weiblich mit den Dynamiken um mich herum umgehen kann. Mir ist klarer geworden, wie ich mein Leben und mein Arbeitsumfeld gestalten möchte. Und natürlich: Ich bin als Person, aber auch mit meinen Themen sichtbarer geworden

„Bis heute ist es für mich eine tolle Erfahrung, dass wir ein Netzwerk haben, in dem man sich zielgerichtet und uneigennützig unterstützt.“

Dr. Natascha Eckert

Global Head of Research and Innovation Ecosystem, Siemens AG

Eckert: Ich hatte bei GLOW@TI immer eine eher begleitende Rolle, habe aber einmal an einem so genannten Reverse Mentoring teilgenommen. Hier lernen ältere Managerinnen und Manager von den jüngeren. Davon habe ich unglaublich profitiert, gelernt, wie ich mich in der digitalen Welt noch effizienter bewegen kann und welche Erwartungen jüngere Menschen an ihre Arbeitgeber und die Führungskräfte haben. Und insgesamt? Ich komme aus einer Zeit, in der man wirklich froh war, wenn man eine zweite Frau getroffen hat. Ich arbeite als studierte Betriebswirtin seit 2001 in einem technischen und noch immer sehr männerdominierten Umfeld. Und bis heute ist es für mich eine tolle Erfahrung, dass wir ein Netzwerk haben, in dem man sich zielgerichtet und uneigennützig unterstützt.

„Für mich sind mit Blick auf die Tech-Ökonomie Geschäfts- und Innovationsökosysteme das relevante Thema.“

Laura Engelhardt

Head of Technology and Innovation Strategy, Siemens Technology

Was kann ein Netzwerk wie GLOW@TI zur Gestaltung der Tech-Ökonomie beitragen?

Engelhardt: Neue Technologien entwickeln sich sehr schnell, gleichzeitig müssen wir gesellschaftliche Themen wie Nachhaltigkeit oder die Klimakrise verantwortlich mitgestalten, und das alles unter hohem Druck. Das können wir weder als Person noch als Konzern allein stemmen. Deswegen sind für mich mit Blick auf die Tech-Ökonomie Geschäfts- und Innovationsökosysteme das relevante Thema. Um sie aufzubauen, braucht man vertrauensvolle Beziehungen. Wen hole ich mit an Bord? Welche Strukturen geben wir uns? Wie agil machen wir das? Wie können wir trotz unterschiedlicher Ziele an einem Strang ziehen? Das alles sind Dinge, die in GLOW heute schon gelebt werden.

„Tech braucht also nicht nur MINT, sondern auch Interdisziplinarität und komplementäre Qualifikationen.“

Dr. Natascha Eckert

Global Head of Research and Innovation Ecosystem, Siemens AG

Eckert: Wenn man Tech-Ökonomie hört, denkt man immer sofort: Technologie. Tatsächlich geht es aber immer um „Tech plus Purpose“. Was ist der konkrete Nutzen einer Technologie? Vor allem Frauen fragen sehr bewusst: Was bringt es? Tech braucht also nicht nur MINT, sondern auch Interdisziplinarität und komplementäre Qualifikationen. Ich bin überzeugt, dass ein Netzwerk wie GLOW@TI einen Beitrag dazu leisten kann, diesen neuen Spirit zu verankern.