Fotos: © AUDI AG

Vielfalt ist unser Antrieb:
„Unser Netzwerk bietet Frauen Raum, sich zu entfalten und weiterzuent­wickeln”

Als Christine Schmid mit 25 Jahren ihre Karriere in der Elektronikentwicklung bei der AUDI AG begann, war sie eine von drei Frauen in einem Team von etwa 180 Ingenieuren und Ingenieurinnen. Fast drei Jahrzehnte später hat sich das Bild gewandelt – auch dank des erfolgreichen Netzwerks, in dem sie sich engagiert. Warum ein Frauennetzwerk so wichtig ist und wie man es lebendig hält, erzählt sie in diesem Interview.

Frau Schmid, Sie sind schon lange im Frauennetzwerk women@audi aktiv und seit zwölf Jahren Teil des Kernteams. Wie ist das Netzwerk 2001 entstanden?

Eine Ingenieurskollegin hat das Netzwerk 2001 an unserem Audi-Standort in Neckarsulm initiiert, ein Jahr später ist es dann in Ingolstadt gestartet. Sie war vorher bei VW in Wolfsburg und hatte sich dort schon für ein Frauennetzwerk engagiert. Als spätere Vorstandsassistentin hat sie ihre Position dann genutzt, um das Netzwerk weiter voranzutreiben und Multiplikatoren zu finden. Unseren damaligen Personalvorstand konnte sie davon überzeugen, dass er das Netzwerk auf der Managementebene pusht. Das war tatsächlich auch einer der zentralen Erfolgsfaktoren: das Management und die Führungskräfte für die Netzwerkinitiative zu gewinnen.

 

Was war Ihre Motivation, auf diesen Zug aufzuspringen?

Als Nachwuchsingenieurin habe ich sehr schnell die Erfahrung gemacht: Ich bin eine von nur sehr wenigen Frauen in meinem Umfeld. Diese Situation kannte ich zwar schon aus meinem Elektrotechnikstudium. Aber es ist etwas anderes, wenn man dieser Realität dann auch im Berufsalltag gegenübersteht. Also habe ich mich entschieden, es nicht einfach hinzunehmen, sondern mich umzuschauen und zu vernetzen.

 

Was haben Sie sich von dem Netzwerk erhofft?

Damals habe ich vor allem nach Vorbildern gesucht, nach Frauen, die im Beruf erfolgreich sind. Ich wollte wissen, wie sie mit ihrer Rolle als Frau, die Karriere machen will, umgehen. Denn in meinem beruflichen Umfeld fiel man als Frau auf. Die Frauen, die ich über das Netzwerk kennengelernt habe, die als Fachexpertinnen oder auch als Führungskräfte erfolgreich waren und sich weiterentwickeln konnten, haben mir sehr geholfen.

 

Was hat Sie noch beschäftigt?

Was ich als junge Frau – ich war damals 25 – wirklich erstaunlich fand: Es gab kaum Frauen in der technischen Entwicklung, die älter als 45 waren. Und selbst die jungen Frauen, die frisch von der Uni kamen, waren mit 30, 35 Jahren wieder weg, um eine Familie zu gründen, und kehrten, wenn überhaupt, nur in Teilzeit zurück. Als das Netzwerk startete, waren Vereinbarkeit und vor allem die fehlenden Betreuungsmöglichkeiten die Hauptthemen.

 

Hat sich das Thema Vereinbarkeit im Laufe der Jahre verändert?

Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist immer noch ein großes Thema, aber die Inhalte haben sich verändert. Wir bekommen heute beispielsweise weniger Anfragen zum Thema Betreuung. Der Spagat, dass man beruflich durchstarten und trotzdem die Kinder aufwachsen sehen will, dass man für Beruf und Familie die Verantwortung trägt, ist zwar immer noch da. Ich beobachte aber, dass inzwischen zunehmend die Männer ihre Rolle hinterfragen: Wie verbinde ich Teilzeit mit anspruchsvollen Aufgaben? Werde ich genügend gesehen, wenn ich nicht Vollzeit arbeite, wenn ich Care-Arbeit übernehme? Es sind heute Männer, die alte Muster brechen wollen.

 

Sie sind 2012 mit dem Relaunch des Netzwerks in das Kernteam eingestiegen. Warum musste sich das Netzwerk neu aufstellen?

Zu dem Zeitpunkt war das Frauennetzwerk in seiner ursprünglichen Struktur eingeschlafen. Es gab immer weniger Ansprechpartnerinnen, auch die Schirmherrschaft wechselte. Wir wussten: So kommen wir nicht weiter. Es brauchte neue Ideen, neue Mitstreiterinnen und neuen Support im Management. Tatsächlich sind wir bei dem damals neuen Arbeitsdirektor schnell auf Begeisterung gestoßen. So konnten wir unsere Ziele reflektieren und unsere Vision weiterentwickeln. Das hat uns motiviert und neue Impulse gesetzt.

 

Wie lautete Ihre Vision?

Vielfalt ist unser Antrieb. Wir haben also schon damals Diversity auf die Agenda gesetzt und vieles vorweggenommen, was heute unter diesem Stichwort diskutiert wird. Wichtig war, dass wir unsere eigene Vision mit der des Gesamtunternehmens in Einklang gebracht und mit konkreten, messbaren Zielen hinterlegt haben. Institutionalisiert wurde das Thema dann 2016 mit der Abteilung Diversity und Inclusion, die uns heute als Netzwerk women@audi betreut.

 

Wie ist das Netzwerk heute aufgestellt?

Wir sind in der Community ungefähr 2.500 Frauen und Männer. Dazu kommen viele Kolleginnen und Kollegen, die eher im Hintergrund dabei sind. Im Kernteam engagieren sich kontinuierlich etwa 20 Audianerinnen und Audianer – freiwillig. Wir investieren viel von unserer privaten Zeit.

 

Was können Sie mit Ihrer Netzwerkarbeit für das Unternehmen bewirken?

Wir zahlen als Netzwerk mit unserem Engagement auf die Unternehmensziele ein und spiegeln zurück, was uns bewegt. Wir zeigen, zum Beispiel auf Messen, die offene Unternehmenskultur, für die Audi steht, und wir beeinflussen diese Kultur selbst. Wir schaffen aber zudem neue Entwicklungsräume für Frauen und ihre Qualifikationen. Unser Mentoring-Programm, bei dem wir Frauen mit Expertinnen und Experten und Führungskräften zusammenbringen, ist sehr erfolgreich. Dieses Jahr sind mehr als 70 solcher Tandems entstanden.

 

Was waren Ihre persönlichen Highlights – als Karrierefrau und als Netzwerkerin?

Das prägendste Ereignis war für mich der Relaunch. Die Unterstützung und die Bestätigung, die wir erfahren haben, war für mich mit das größte Erfolgserlebnis. Aber es gibt auch immer wieder kleine Highlights, zum Beispiel, wenn Kolleginnen mir sagen: Das Netzwerk hat geholfen. Ich freue mich auch wahnsinnig, dass wir es schon so lange schaffen, das Netzwerk am Leben zu halten und den Frauen und Männern, die Interesse haben, immer wieder neue Themen anzubieten, die auch einen Mehrwert für das Unternehmen schaffen. Insgesamt ist für mich spürbar und erlebbar, wie die Lage sich verändert hat. In der technischen Entwicklung sind heute viel mehr Frauen sichtbar, auch ältere. Natürlich ist noch Luft nach oben. Aber wir motivieren mehr Frauen, sich zu entwickeln. Das ist unser gemeinsamer Erfolg. Audi ist im dritten Jahr in Folge unter die Top Ten des Frauen-Karriere-Index gekommen.

 

Was würden Sie Frauen sagen, die heute ein Netzwerk auf die Beine stellen wollen?

Rückblickend betrachtet: Die größte Herausforderung ist es nicht, ein Netzwerk auf die Beine zu stellen, sondern es immer wieder mit neuem Leben zu füllen. Ein solches Netzwerk ist kein Selbstläufer. Man muss Themenströme beobachten und anpassen, neue Ideen einspeisen, Brennpunkte und Interessen identifizieren, immer wieder neue Mitstreiterinnen und Mitstreiter finden. Man muss sich ständig erneuern. Das erfordert viel Durchhaltevermögen und intrinsische Motivation.